"Die Maske bin ich"

Entstehungsgeschichte meines Buches

Wie kam ich dazu, ein Buch über mein Leben zu schreiben? Nun, ich führe kein ganz alltägliches Leben. Seit meiner Geburt habe ich cerebrale Bewegungsstörungen, verursacht durch einen Sauerstoffmangel im Gehirn während der Geburt. Diese Behinderung beeinflusste mein ganzes Leben, von der Kindheit, Schule, Berufswahl über meine berufliche Tätigkeit bis hin zu meiner jetzigen Arbeit als Geschäftsleiterin der Behindertenkonferenz Stadt und Region Bern und Bezügerin einer Invalidenrente. Ich bin – verglichen mit andern Menschen mit cerebralen Bewegungsstörungen – nicht stark beeinträchtigt, habe aber Mühe mit dem Gebrauch meiner Hände. Dadurch bin ich in meinen Bewegungen verkrampft und verlangsamt und habe seit einigen Jahren zunehmend Schmerzen aufgrund der durch die Fehlbelastung verursachten körperlichen Abnützungserscheinungen. Das alles hinderte mich keineswegs daran, allerlei auszuprobieren und mein Leben zu geniessen.

Damit ist ganz kurz zusammengefasst auch der Inhalt meines Buches bereits erzählt. Aber so einfach verlief dessen Entstehung denn doch nicht. Am Anfang, da war nichts als eine vage Idee. Während meiner beruflichen Tätigkeit, aber auch in meiner Ausbildung zur Supervisorin bei Ursula Gründler am NLP-Institut in Chur wurde ich immer wieder auf meine Erfahrungen als Frau mit Behinderung angesprochen. Oft bekam ich zu hören:
„Wie schaffst du das, mit dieser körperlichen Einschränkung zu leben?“
„Was genau sind eigentlich cerebrale Bewegungsstörungen?“
„Du kannst deine Behinderung so treffend erklären, dass ich sie gut nachfühlen kann. Wie machst du das?“
„Du hast so viel gemacht in deinem Leben, du solltest ein Buch darüber schreiben.“

Als ich fünfzig Jahre alt wurde, reifte diese Idee zu einem festen Entschluss heran. Ich wollte "Zwischenbilanz" ziehen in meinem Leben. Zurück schauen auf meiner Zeitlinie und alle die Schritte reflektieren, die mich zu der Frau machten, die ich heute bin… Mich selbst in der Gegenwart spüren und Ereignisse festhalten, die mir in diesem Augenblick, im Hier und Jetzt wichtig sind… Vorwärts blicken auf meiner Lebenslinie und überprüfen, was ich trotz vermehrt eingeschränkten körperlichen Möglichkeiten noch erreichen will und kann… Ich visualisierte dies alles und stellte mir vor, wie es für mich, für meinen betagten Vater, meinen Partner und meine Freunde sein würde, wenn das Buch dann wirklich erschienen ist. Das sah toll aus! In dieser gehobenen Stimmung begann ich dann zu schreiben.

Einzelne Kapitel entstanden wie Puzzlesteine. Manchmal konnten meine Finger meinen Gedanken kaum folgen, und der Laptop lief heiss. Dann wieder gab es Tage, wo mir kein Satz gelingen wollte, und ich zweifelte am Erfolg meines Unternehmens. Was sollte diese Mühe? Es würde ja sowieso nichts daraus! - Aber ich lasse mich nicht so schnell unterkriegen, und so wartete ich eben - mehr oder weniger geduldig - bis mich erneut die Muse küsste. So vergingen die Monate; es gab schreibintensive Wochen und solche, wo ich das Buchprojekt beiseite schob und gar keinen Gedanken mehr daran verschwendete.

Ich durfte in meinem Leben immer wieder erfahren, dass auch schwierige Situationen einen Sinn haben und dass ich daraus gestärkt hervor gehe, wenn ich sie anpacke. Aber eben, das ist leichter geschrieben als gelebt! Wenn ich tief in der Suppe hocke, ist es eine Herausforderung zu denken, wie es auf dem Tellerrand wäre… Es gehört eine gehörige Portion Vertrauen dazu, in einer solchen Situation die positive Einstellung zu wahren, oder sie zumindest wieder zu finden. Und so setzte ich die einzelnen Puzzlesteine der Kapitel meines Lebens immer weiter zusammen, bis schliesslich das ganze Bild vollendet war.

Zwei Jahre dauerte es, bis die Urfassung meines Buches vor mir lag. Ein weiteres Jahr verging, bis ich einen Verlag gefunden hatte, der bereit war, das Buch herauszugeben. Dann ging alles schnell, beinahe zu schnell für mich. Ich fand in der Stiftung für das cerebral gelähmte Kind in Bern einen grosszügigen Sponsor, der die Herausgabe finanzierte. Im September 2008 war die Vernissage, an der ich viele Freunde und Bekannte - zum Teil wieder einmal nach Jahren - begrüssen durfte. Für mich hat sich mit meinem Buch einmal mehr bewahrheitet, dass sich mit einem klar definierten Ziel, mit Durchhaltevermögen und mit etwas Glück auch scheinbar unmögliche Sachen durchführen lassen.

Yvonne Hämmig, 2009

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